Interview mit dem Lotto Soudal-Teamchef

Sergeant: “Das war nicht unser Jahr“

Von Wolfgang Preß aus Manacor (Mallorca)

Foto zu dem Text "Sergeant: “Das war nicht unser Jahr“"
Marc Sergeant im Gespräch mit Radsport-News-Redakteur Wolfgang Preß | Foto: pressBureau.eu

17.12.2017  |  (rsn) - Noch bis zum 21. Dezember befindet sich das belgische World-Tour-Team Lotto Soudal im "Rafa Nadal Sports Centre" in Manacor auf Mallorca im Trainingslager. Radsport News hatte Gelegenheit, die Mannschaft mit den beiden Deutschen André Greipel und Marcel Sieberg zu besuchen - und ein Interview mit Teamchef Marc Sergeant zu führen.

13 der 25 Siege Ihres Teams in der vergangenen Saison wurden nach der Tour de France eingefahren. Der starke Auftritt in der zweiten Jahreshälfte hat das Jahr für Lotto-Soudal gewissermaßen gerettet. Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der Saison 2017?
Marc Sergeant: Nicht wirklich zufrieden, ganz klar. Wenn man als belgisches Team keinen der Frühjahrsklassiker gewinnt, ist das schon mal nicht so schön. Und dann auch noch keine Etappe bei der Tour, da kann man nicht zufrieden sein. Seit 2009 hatten wir jedes Jahr mindestens einen Tour-Tagessieg. Da ist die Jahres-Bilanz dann doch eher, ich will nicht sagen negativ, aber doch wenig zufriedenstellend - auch bei 25 sonstigen Siegen.

Sie waren ja oft ganz vorne dabei, und sind einige Male denkbar knapp gescheitert. Tröstet das ein wenig?
Sergeant: Klar, wir waren bei den GrandTours eigentlich in allen wichtigen Ausreißergruppen mit dabei, sind immer gut mitgefahren. Ich kann da auch niemandem aus der Mannschaft einen Vorwurf machen. Manchmal jagt man überall mit, aber es klappt einfach nicht. Schwer zu sagen, was gefehlt hat.

Sie waren am Jahresanfang recht erfolgreich...
Sergeant: Richtig, schon im Februar lief es ziemlich gut, viele Fahrer waren bestens in Form. Aber leider ging die Kurve dann nicht mehr weiter nach oben. Möglicherweise war unser Training in dieser Saison, vor allem im Sommer, etwas zu hart. Da gab es keine Entwicklung mehr.

Ihr Top-Sprinter André Greipel ist nun 35 Jahre alt. Kann er nächstes Jahr wieder an seine Erfolge von vor zwei, drei Jahren anknüpfen?
Sergeant: André war mit dieser Saison natürlich selbst nicht zufrieden, überhaupt nicht. Wir hatten nach der China-Rundfahrt ein gutes, langes Gespräch mit ihm und seinem Manager. André ist überzeugt, dass er wieder erfolgreich sein und sein Niveau weiter halten kann.

Sie glauben das auch?
Sergeant: Ja, und meiner Meinung nach gibt es einen Grund. Wie nur wenige wissen, war seine Mutter lange schwer krank, und ist vor drei Wochen verstorben. Das hat ihn natürlich sehr belastet, auch wenn er nicht darüber geredet hat. Er besuchte sie, sooft es ging, und man hat schon gemerkt, wenn er wieder hier war, wie ihm das zu schaffen macht. André ist ein Familienmensch, und seine Mutter leiden zu sehen, das hat ihn zweifeln lassen.

Wie hat sich das ausgewirkt?
Sergeant: Wenn ein Sprinter etwas nicht darf, dann ist das zweifeln. Das war bei André sicher unbewußt - aber vor allem bei der Tour gab es Situationen, da hat man gesehen, dass er zu lange gewartet hat - meiner Meinung nach gezweifelt hat. Und schon war's vorbei. Er hat gelegentlich selbst gesagt, warum bin ich da links vorbei gefahren, und nicht rechts. Da hat er vor zwei Jahren nicht drüber nachgedacht, da ist er einfach gefahren. Und hat gewonnen. Aber so traurig das auch klingt, ich glaube, durch den Tod seiner Mutter ist nun eine große Last von ihm abgefallen. Wenn ich ihn hier im Trainingslager sehe, dann ist das wieder ein anderer André, fast der alte. Natürlich trauert er noch, aber er schaut auch nach vorn. Das ist wichtig, und das macht nicht nur mich optimistisch.

Jurgen Roelandts ersetzte in der vergangenen Saison Greg Henderson, Andrés langjährigen Anfahrer. Nun wechselt auch Roelandts nach fast zehn Jahren bei Ihnen zu BMC. Wer kommt nun?
Sergeant: Jurgen hat betont, dass er bei uns zufrieden, sogar glücklich ist. Aber er wollte nach so langen Jahren noch in ein anderes Team, und er hatte Angst, dass es immer schwieriger wird. So hat er nun eine Gelegenheit ergriffen. Aber nochmal - André hat auch einige Sprints ohne Henderson und Roelandts gewonnen. Das wird er wieder schaffen.

Wie wird Ihr Sprintzug in der kommenden Saison aussehen?

Sergeant: Das wird von dem jeweiligen Rennen abhängen. Wir starten mit der Tour Down Under in Australien, da werden wir wohl noch nicht viel anders machen. Ab Paris - Nizza wird Jasper De Buyst in den Zug kommen, ein junger, sprintstarker früherer Bahnfahrer. Vor zwei Jahren gewann er Silber im Omnium bei der WM in Cali. André kennt ihn schon, und er vertraut seinen Fähigkeiten. Ex-Bahnfahrer haben ja viel Erfahrung mit Sprints und mit dem Positionieren. Jasper wird mit André wohl die Eintagesrennen, und vor allem die Tour fahren.

Sie waren auf dem Transfermarkt bisher kaum tätig, haben nur zwei Neuverpflichtungen für 2018, immerhin bekannte Namen: Jens Keukeleire und Victor Campenaerts. Warum die Zurückhaltung?
Sergeant: Wir haben einen Sponsor verloren, da macht man erstmal keine großen Sprünge mehr. Und wir mussten auch teure Jungs wie Gallopin und Roelandts opfern. Tolle Fahrer, aber wir konnten sie einfach nicht mehr halten. Immerhin hilft uns nun die UCI-Entscheidung, das Aufgebot für die Grand Tours und die Eintagesrennen um jeweils einen Fahrer zu verkleinern. So brauchen wir keinen Kader mehr mit 28 oder 29 Fahrern, es reichen 25.

Dann haben Sie doch wieder mehr Möglichkeiten...
Sergeant: Was wir verfügbar hatten, haben wir für Keukeleire ausgegeben. Er ist 29, hatte 2017 sein bisher bestes Jahr, gewann die Belgien-Rundfahrt und war Zweiter bei Gent - Welvegem. Wir versprechen uns einiges von ihm, vor allem bei den Klassikern, die kennt er praktisch auswendig.

Die Lücke zu finanzstarken Mannschaften wie Sky, Quick-Step Floors, Bahrain-Merida oder dem UAE Team Emirates wird größer, nicht nur bei Ihnen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Sergeant: Ich kann nicht bestreiten, dass wir Qualität verloren haben. Ich hoffe, dass die Jungen wie Wellens oder Benoot nun Rennen gewinnen. Vor allem Wellens macht das schon ganz gut, aber er kann es noch besser.

Nochmal zur Lücke zu den großen Teams. Wo sehen Sie sich da in Zukunft?
Sergeant: Top-Fahrer wie Froome oder Sagan bringen ihre Performance regelmäßig. Das ist der Unterschied zu Mannschaften wie uns: Die Jungen brauchen ihre Zeit. Zwei, drei Jahre sind normal. Die Medien, vor allem die belgischen, sind da manchmal sehr ungeduldig.

 

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