Tour de France-Blog / Teil 6

Premiere für den ewigen Zweiten

Von Andreas Schulz (Eurosport)

Foto zu dem Text "Premiere für den ewigen Zweiten"
Cadel Evans (BMC) | Foto: ROTH

06.07.2011  |  Kann das sein? Wir mussten zweimal genau hinsehen: Erst, ob Cadel Evans wirklich die Ziellinie an der Mûr de Bretagne vor Alberto Contador überquert hatte. Und dann gleich nochmal, als uns in der Kommentatoren-Kabine die Tragweite des Ereignisses schwante.

Doch, es war tatsächlich der erste Etappensieg bei der Tour für den Australier! Dabei ist er für mich gefühlt schon immer dabei gewesen und dazu noch so oft ganz vorne: Da wird er doch sicher schon etwas auf der Habenseite vorweisen können?! Von wegen. Zwei Plätze auf dem Podium in Paris bedeuten eben noch lange nicht automatisch eine Handvoll Tagessiege.

Ok, genau genommen hatte Evans schon einen Etappenerfolg zu Buche stehen. Doch der erste Platz im Tour-Zeitfahren von Albi 2007 wurde ihm erst nachträglich zugesprochen, nachdem Alexander Winokurow als Blutdoper überführt worden war. Ein solcher Sieg hat nicht den gleichen Wert - ohne Podium, ohne Glücksmomente, ohne Jubelszenen in Ziel, Teambus, Mannschaftshotel.

Deshalb war es irgendwie typisch, dass diesmal erst einmal ein anderer die Faust noch oben riss. Doch das Warten wurde belohnt, Alberto Contador hatte sich zu früh gefreut und Evans wurde tatsächlich aufs Podium gebeten.

"Ich weiß gar nicht, wie oft ich bei der Tour schon Zweiter oder Dritter war", so der BMC-Kapitän. "Es ist schwierig, gegen Kletterer wie Contador oder Michael Rasmussen am Berg oder Fabian Cancellara im Zeitfahren Etappen zu gewinnen. Ich bin wirklich lange hinter einem solchen Sieg hergejagt."

Podium statt Pechsträhne

Evans war in den ersten Tagen dieser Tour der heimliche Sieger mit seinen Leistungen am Mont des Alouettes und dem Top-Auftritt von BMC im Teamzeitfahren. Nun ist er sozusagen aus dem Schatten von Gilbert & Garmin ins Rampenlicht getreten. Doch da gefällt es ihm nicht besonders. Dass er erneut das Gelbe Trikot verpasste, dürfte ihm bestens in den Kram passen. "Etappensieg und kein maillot jaune - mir ist's lieber so", verkündete seine Frau Chiara, die das manchmal ein wenig fragile Nervenkostüm ihres Mannes bestens kennt.

Und sein fast schon legendäres Pech schien ihm ja auch auf dieser 4. Etappe treu zu bleiben. Der 34-Jährige hat eine fast schon unglaubliche Liste an Tiefschlägen verkraftet. Angefangen von seinem fürchterlichen Einbruch als Gesamtführender beim Giro 2002 über seine Schlüsselbeinbrüche im Monatsrhythmus bei Telekom bis zur Tour im Vorjahr, wo er zwar in Morzine Gelb übernahm, aber sich dieses Trikot schon mit einem gebrochenen Arm anziehen musste und es nicht verteidigen konnte.

Nicht zu vergessen die Tour 2008, als ihn ein Sturz wohl den Gesamtsieg kostete, die Vuelta 2009, wo er durch einen Defekt zur Unzeit höchstwahrscheinlich um den Platz ganz oben auf dem Podest gebracht wurde sowie den Giro 2010, als er zur Halbzeit des Rennens erkrankte und den greifbaren Platz auf dem Podium knapp verpasste.

Diesmal aber wendete sich im hektischen Finale der noch alles zum Guten: Der Defekt 15 Kilometer vor Schluss warf den einstigen Mountainbike-Champion zwar ans Ende des Feldes zurück. Doch sein "Held des Tages" Marcus Burghardt brachte ihn rechtzeitig wieder zurück an die Spitze, wo Evans "nur noch die Arbeit der Teamkollegen vollenden musste".

Wendepunkt der Wahrnehmung?

Dieser Erfolg markiert vielleicht den endgültigen Wendepunkt in der Wahrnehmung des Wahlschweizers. Denn seit dem WM-Coup 2009 unweit seines Wohnortes, ergänzt durch den Teamwechsel zu BMC, blüht Evans auf. Mit dem Triumph beim Klassiker Flèche Wallonne, dem Sieg auf der epischen Giro-Etappe über die "strade bianche" und den jüngsten Erfolgen bei Tirreno-Adriatico und Tour de Romandie baute er seinen Palmares gehörig aus.

Hätten etliche Beobachter seinen zweiten Gesamtrang bei der Dauphiné im Juni (sein bereits vierter dort!) früher als weiteren Beweis seiner begrenzen Möglichkeiten interpretiert, wird dies inzwischen eher als taktisch kluge Vorbereitung Richtung Tour gewertet.

Evans scheint mit sich und seinem Sport im Reinen zu sein wie nie zuvor. Entsprechend entspannt, aufgeräumt und auskunftsfreudig präsentierte er sich bei der Presserunde kurz vor dem Tour-Auftakt. "Einfach kein Pech", sei sein größter Wunsch für diese Tour. Kein Vergleich mehr zum verkniffenen Spitzenreiter der Tour 2008, der teilweise vor der Presse mehr Bauchgrimmen als vor den Rivalen auf dem Rad zu haben schien.

Klar, Evans ist noch immer alles andere als der strahlende Sunnyboy von "down under", dem Sympathien nur so zufliegen. Immer wieder schien er gefangen in einer Rolle des kauzigen Eigenbrötlers, mit dessen Vorliebe für Tim & Struppi und großem Engagement für Tibet die Szene lange fremdelte.

Aber er hat eine Grundeinstellung, die er einst knapp auf den Punkt brachte und mit der man tatsächlich als Richtschnur ganz gut fahren dürfte - nicht nur als Radprofi: "Man sollte nachts gut schlafen und tags seiner Frau ins Gesicht sehen können."

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.07.2011Teamwechsel, bitte!

(rsn) - Eigentlich hatte Cadel Evans bereits im Herbst 2009, als er mit einem brillanten Auftritt die Straßenweltmeisterschaft gewann, den Ruf eines Mannes abgelegt, der einfach keine wichtigen Radre

24.07.2011Die Spezialisten profitierten von den Regeländerungen

(rsn) – Mit neuen Punktesystemen für die Berg- und die Sprintwertung wartete die 98. Auflage der Tour de France auf. Für viele Fahrer, die sich in der Vergangenheit auf diese Sonderwertungen konze

23.07.2011Krönung oder drittes Drama?

(rsn) - Und täglich grüßt das Murmeltier? Mit ein wenig Übung könnte Cadel Evans ganz gut den mürrisch-melancholischen Bill Murray aus dem Kultfilm geben. Zum Abschluss der Tour zumindest könn

22.07.2011Comeback der „frischen Franzosen“

(rsn) - Die meisten Franzosen lieben ihre Tour de France bedingungslos, aber diese Liebe war zuletzt auch ein gespanntes Verhältnis. Seit dem Festina-Skandal 1998 hatten es Profis aus dem Gastgeberla

20.07.2011Doping: Wandel oder Weichspüler?

Wie geht´s uns denn heute? Zumindest einmal pro Tour muss die Gretchenfrage gestellt werden: Ist der Radsport auf dem Weg aus der Talsohle oder kurbelt er weiter eifrig auf die Klippe zu und stürzt

19.07.2011Ganz oder gar nicht!

(rsn) - „Ganz oder gar nicht“, möchte man all den Medien zurufen, die sich wegen der Doping-Skandale vergangener Jahre immer mehr aus der Radsport-Berichterstattung zurückziehen. Und am liebsten

18.07.2011Warum nicht in den Hindukusch?

Montpellier (rsn) - Die Tour de France hat nicht umsonst den Beinamen "Tour der Leiden weg". Jedes Jahr versuchen die Organisatoren, für Fahrer und Begleittross neue Schikanen einzubauen. Die erste

17.07.2011"It´s not a f...ing strip club"

(rsn) - Fabian Cancellara war sauer. Und wenn jemand mit dem Spitznamen "Spartakus" sauer wird, duckt sich selbst die aufdringliche Journalistenmeute weg. Vor wenigen Minuten hatte der Schweizer erst

15.07.2011Klöden ist mein „härtester Tour-Profi"!

(rsn) - Die Kollegen von der Zeitung mit den vier Buchstaben küren Johnny Hoogerland (Vacansoleil-DCM) heute zum härtesten Profi der Tour. Der Niederländer ist, im Gegensatz zu anderen Bild-Helden,

14.07.2011Sprinter-Rechenspiele

(rsn) - Mann, Mann, Mann! Haben Sie das gestern gesehen? Da hat sich der Mark Cavendish nicht die Wurst vom Brot nehmen lassen. Da konnte Andre Greipel seinem Ex-Kollegen nicht den Schaum vom Guiness

13.07.2011Noch ein "beschissenes kleines Rennen"?

(rsn) - „Greipel ziiiiiieht an Cavendish vorbei und gewinnt seine erste Tour-de-France Etappe!“ - ein schöner Ausruf, oder? Darauf haben deutsche Fans lange warten müssen. Man könnte sich glatt

09.07.2011Wer trägt die Verantwortung?

(rsn) – Die Tour ist die Tour, das wichtigste Radrennen der Welt. Die Pedaleure riskieren bei der Grand Boucle Kopf und Kragen und das im wahrsten Sinne des Wortes. So viele Stürze wie in dieser er

Weitere Radsportnachrichten

20.05.2024Die Tour im Blick: Hält sich Pogacar in dritter Giro-Woche zurück?

(rsn) – Spätestens seit seiner Vorstellung auf der Königsetappe des 107. Giro d’Italia bestehen keinerlei Zweifel mehr daran, dass nur noch ein Sturz oder eine Krankheit den Gesamtsieg von Tadej

20.05.2024Umbrailpass zu Beginn, steile Rampe zum Schluss

(rsn / ProCycling) – Nachdem sich die Teilnehmer des Giro am Vortag etwas Ruhe gönnen konnten, geht es auf der 16. Etappe mit aller Härte weiter. Die Fahrer werden mit gnadenloser Berggewalt konf

20.05.2024Nur Groenewegen in Tongeren schneller als Ballerstedt

(rsn) – Maurice Ballerstedt (Alpecin – Deceuninck) hat bei der Ronde van Limburg (1.1) nur knapp seinen ersten Profisieg verpasst. Der 23-jährige Berliner musste sich bei dem belgischen Eintagesr

20.05.2024Bora - hansgrohe: In der dritten Giro-Woche alle für Martinez

(rsn) – Bisher läuft der 107. Giro d´Italia für Daniel Felipe Martinez (Bora – hansgrohe) voll nach Plan. Der Neuzugang aus Kolumbien hat sich bei der ersten Grand Tour des Jahres voll auf die

20.05.2024Quinn und Faulkner gewinnen US-Meisterschaften im Straßenrennen

(rsn) - Gianni Vermeersch (Alpecin – Deceuninck) hat sich bei einem Sturz im Verlauf des Port Epic eine Fraktur des Ellenbogens zugezogen, wie sein Team auf der Plattform X mitteilte. Der Belgier mu

20.05.2024Vollering will nach “großartigem Mai“ ihre Form weiter verbessern

(rsn) – Nachdem sie lange auf ihren ersten Saisonsieg hatte warten müssen, ist bei Demi Vollering (SD Worx – Protime) in Spanien der Knoten geplatzt. Innerhalb von gerade mal drei Wochen entschie

20.05.2024Weniger Stürze mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz?

(rsn) - Der Radsport wird technologisch immer ambitionierter. Das betrifft etwa die Materialentwicklung. Fünf Ingenieure sitzen etwa bei Colnago ganzjährig daran, die Arbeitsgeräte von Tadej Pogaca

20.05.2024Mattheis: Nach acht Jahren Pause ein spätes Comeback

(rsn) – Sonderlich viele Kontinental-Jahre hat Oliver Mattheis (Bike Aid) noch nicht auf dem Buckel. Dies liegt auch daran, dass der heute 29-Jährige seine aktive Radsportkarriere in seiner zweiten

20.05.2024Geschke griff auf Königsetappe mutig nach Pogacars Bergtrikot

(rsn) - Simon Geschke (Cofidis) setzte auf der 15. Etappe von Manerba del Garda nach Livigno (Mottolino) zum großen Kampf um das Bergtrikot des Giro an. Am Ende musste er sich aber der schieren Kraf

19.05.2024Vor Steinhauser landen in Livigno nur die Grand-Tour-Könige

(rsn) – Es war ein großer Tag für Georg Steinhauser (EF Education - EasyPost). Der 22-Jährige hielt auf der Königsetappe des Giro d´Italia im Konzert der Grand-Tour-Gesamtsieger prächtig mit.

19.05.2024Quintana meldet sich zurück, aber Pogacar zeigt noch keine Gnade

(rsn) – Nach anderthalb Jahren außerhalb des Profi-Pelotons ist Nairo Quintana in dieser Saison zu Movistar zurückgekehrt, um an alte, glanzvolle Tage anzuknüpfen und als Kapitän zehn Jahre nach

19.05.2024Pogacar dominiert den Giro d´Italia – mit Plan, Verstand & Stärke

(rsn) – Die Entscheidung der Königsetappe des diesjährigen Giro d’Italia (2. UWT) ist knapp 15 Kilometer vor dem Ziel gefallen. Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) tritt vom Hinterrad seines Teamk

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)
  • Radrennen Männer

  • Tour d´Algérie (2.2, DZA)